Bernadette Redl
4. November 2018, 11:00
Es sieht aus wie eine Notlösung und ist dennoch gut durchdacht: Der Wasserhahn über dem Waschbecken lässt sich auf die Seite drehen, sodass er auch die danebenliegende Badewanne füllen kann – eine Armatur, zwei Aufgaben. Das spart Kosten. Das weiß man in Schweden, wo Konstruktionen wie diese beim Bau von leistbaren Wohnungen eingesetzt werden.
So weit gehe man bei uns noch nicht, sagt der Architekt Hans-Otto Kraus, früherer Geschäftsführer der Städtischen Wohnungsgesellschaft GWG in München. Lösungen wie jene aus Schweden kennt er noch aus den 1980er-Jahren. Andere, die in Deutschland und Österreich in den 1950er-Jahren gebaut wurden, sind im sozialen Wohnungsbau in Schweden auch heute noch unumstritten, etwa freistehende Badewannen oder Leitungen, die außen an der Badezimmerwand verlaufen. “Die Schweden sind da ganz pragmatisch. Sie sagen: ‘Für das Geld, das ausgegeben werden darf, sind andere Lösungen nicht machbar'”, so Kraus.
Preiswert und intelligent
Leistbaren Wohnraum zu bauen, das ist auch das Ziel der GWG für München, wo die Grundstückskosten schon mehr als 50 Prozent der Gesamtkosten eines Projekts betragen. Umso preiswerter und intelligenter müsse gebaut werden, so Kraus. Für ein Neubauprojekt in der Hinterbärenbadstraße, fertiggestellt im Jahr 2017, hat sich die GWG daher als Ziel gesetzt, die Kosten erheblich zu reduzieren. Konkret: Die freifinanzierten Mietwohnungen sollten unter zehn Euro pro Quadratmeter kosten. Gegen einen geförderten Bau hat man sich entschieden, weil die Anforderungen dafür sehr streng sind. Kraus: “Die Förderbestimmungen sind sehr umfassend. Die SStandards sollen natürlich hoch sein – das ist eine gute Absicht, die aber nicht überall sinnvoll ist. Wenn wir preiswert bauen wollen, können wir diese Bedingungen nicht alle erfüllen.”
An vorgegebenen SStandards habe man daher gedreht. “Ich habe unseren Architekten die Fotos vom schwedischen Badezimmer gezeigt, um zu signalisieren, dass es auch anders geht”, so Kraus. Im nächsten Schritt hat die GWG alle Vorschriften von Grund auf geprüft, die im Wohnbau festgelegt sind, “auch unsere eigenen, selbstentwickelten SStandards im Unternehmen, auf die wir eigentlich sehr stolz sind.”
Beim kostensparenden Bauen gebe es aus der Forschung unglaublich viel Wissen, das jedoch nicht umgesetzt wird. “Durch vorhandene SStandards ist Wohnraum sehr komfortabel geworden, wir haben in langen Prozessen hinterfragt: Muss das so sein?” Diese harte Arbeit habe sich gelohnt, sagt Kraus jetzt und berichtet von konkreten Maßnahmen.
Ein Fensterformat
So gibt es im ganzen Gebäude in der Hinterbärenbadstraße nur ein Fensterformat und ein Heizkörpermodell – beides Optionen, die auch in Wien zulässig wären, sagt Sascha Risavy, Leiter der Bautechnik im Österreichischen Siedlungswerk (ÖSW), das ebenfalls intensiv auf der Suche nach Einsparungspotenzialen im Wohnbau ist. Risavy zweifelt jedoch an der Wirtschaftlichkeit. “Ein kleiner Raum wird dann mit demselben Heizkörper geheizt wie ein großer”, merkt er an.
Über Fensterformate hat man sich auch bei der in Wien ansässigen Immobilienrendite AG schon Gedanken gemacht. Dort ist aktuell ein Projekt in der Erlaaer Straße im 23. Bezirk mit 79 günstigen Eigentumswohnungen – einige sollen unter 100.000 Euro kosten – in Planung.
Auch dort werden nur zwei bis drei Fenstermodelle verwendet, sagt Vorstand Mathias Mühlhofer. “Durch diese Wiederholung sind wir effizienter. Das sind aber Maßnahmen, die die Bewohner fast nicht bemerken.”
Schlaue Grundrisse
Insgesamt könne ein günstiger Verkaufspreis vor allem durch schlaue Grundrisse erzielt werden. Die Schlafzimmer im geplanten Projekt der Immobilienrendite AG sind nur so groß wie ein Doppelbett. “Man kann am Fußende nicht vorbeigehen, dafür gibt es auf jeder Seite des Raumes eine Tür”, erklärt Markus Kitz-Augenhammer, ebenfalls Vorstand des Unternehmens. Die schwedischen und Münchner Sparmaßnahmen kommentieren die beiden so: “Bei uns sind die Kabel schon in der Wand. Das schulden wir den Käufern, auch wenn es die günstigsten Wohnungen am Markt sind.”
Wohnlich und qualitativ hochwertig sollte es auch in der Münchner Hinterbärenbadstraße bleiben, dennoch gibt Kraus zu: “Wir wollten keinen Architekturwettbewerb gewinnen.”
Das Projekt ist durchwegs schlank und einfach angelegt. Alle Balkone sind einheitlich gebaut, nur farblich unterschiedlich gestaltet. Das Gebäude hat ein Satteldach, weil die bei Flachdächern in München verpflichtende Dachbegrünung teuer ist.
Bei der Konstruktion wurde gemeinsam mit einem Statiker der Schallschutz “sinnvoll abgeändert”, wie Kraus erklärt. Der in den Förderrichtlinien vorgeschriebene Wert wurde um ein Dezibel gesenkt. “Das hört man als Mensch praktisch nicht, dennoch konnten wir bei den Konstruktionskosten dadurch erheblich sparen.”
“Durchaus hörbar”
ÖSW-Experte Risavy stimmt dem nicht zu. Er ist sicher, dass ein Dezibel durchaus hörbar ist für die Bewohner – vor allem bei stärkerer Belastung. Auch die Wiener Bauordnung gibt hier klare Vorgaben, je nach Lage eines Gebäudes.
Ein weiterer Punkt: Im Projekt in der Hinterbärenbadstraße gibt es keine Wärmemengenzähler in den Wohnungen, der konkrete Verbrauch wird nach Wohnfläche berechnet. “Das wird erst gefährlich, wenn jemand klagt. Das Risiko nehmen wir in Kauf, denn das Gebäude ist wärmetechnisch so gut gebaut, dass niemand wegen zwei Euro klagen wird”, sagt Kraus.
In Wien sei eine Abrechnung über den Nutzflächenschlüssel in einer klassischen Wohnimmobilie nicht zulässig, sagt Risavy. In temporären Wohnformen gebe es aber auch Ausnahmen mit Pauschalmieten. Auch das ÖSW hat solche Immobilien.
Aufzug nicht für alle
Auch sind im Münchner GWG-Gebäude nur 60 der insgesamt 84 Wohnungen mit einem Aufzug erschlossen. Das sei eine Grundsatzentscheidung gewesen, wie Kraus sagt. “Notfalls muss eine Person im Haus umziehen, wenn sie eines Tages eine barrierefreie Wohnung benötigt.” Mit gutem Management sei das kein Problem und jedenfalls günstiger als ein zweiter Aufzug, der im Betrieb viel kostet.
“Das ist eine Frage von Komfort. Wir würden uns das nicht machen trauen. Ich weiß außerdem auch nicht, ob das im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes ist”, kommentiert Risavy.
Apropos Betrieb: Für die GWG geht es nicht nur um die Baukosten, sondern auch um den Unterhalt. Die Gebäude werden 50 bis 100 Jahre betreut, daher spielen auch die laufenden Kosten eine Rolle. Sie waren etwa ausschlaggebend bei der Wahl des Bodenbelags. Sie fiel auf Parkett, denn es ist lange haltbar, kann abgehobelt werden und ist danach wieder wie neu, erklärt Kraus.
Weitere Sparmaßnahmen sind Stromzähler in der Wohnung und nicht im Keller, in den um viel Geld Leitungen gelegt werden müssten. Zwei Jahre lang habe die GWG mit dem Stromversorgungsunternehmen verhandelt, diese Option umsetzen zu dürfen, sagt Kraus.
Licht per Funktaster
Zudem: Auf den Gängen im Stiegenhaus verlaufen Kabelkanäle außen an den Wänden, in die LED-Lichter integriert sind, die für Beleuchtung sorgen. Zudem gibt es in den Wohnungen keine Verdrahtungen in den Decken und keinen Deckenauslass – “um Leitungen zu sparen”, so Kraus. Mit einer sogenannten Affenschaukel, also einem Haken, können Mieter ihre Lampen so montieren, dass sie an der richtigen Stelle hängen. Bedient wird das Licht mit Funktastern. “Das haben wir auch schon gemacht”, sagt Risavy zur möglichen Umsetzung in Wien.
Den Bau des zu Beginn erwähnten schwedischen Badezimmers in Österreich hält Risavy vom ÖSW für rechtlich zulässig. Allerdings stellt er auch hier infrage, ob es tatsächlich günstiger ist, eine Leitung vor statt hinter der Wand zu verlegen – zumal sie dann auch optisch ansprechender sein muss. Außerdem kommentiert Risavy: “Die Menschheit darf sich weiterentwickeln, im Jahr 2018 halte ich solche Maßnahmen nicht unbedingt für zumutbar.”
Zweite Anlage
Für die Münchner GWG hat sich das reduzierte Projekt letztendlich rentiert. Es sollte, so Kraus, ein Projekt entstehen, das auch wiederholbar ist. Das ist übrigens schon geschehen: Eine zweite Anlage in München wurde ähnlich gebaut. Durch die vorhandene Vorlage hat sich die Bauzeit stark verkürzt. “Wir Architekten sind darauf geeicht, Wiederholungen zu verhindern, immer alles neu zu erfinden.” In den USA sei man da bereits weiter – “Baumodule aus Holz gibt es dort im Katalog zu kaufen.”
Am Ende hat die Stadt München das Projekt im Übrigen doch gefördert, “weil wir gute Arbeit geleistet haben”, sagt Kraus. “Manchmal muss man eben stur bleiben.” (Bernadette Redl, 4.11.2018)