von André Exner
Der Erdgeschoßbereich ist die Visitenkarte einer Stadt: Wie sich Gebäude auf Augenhöhe mit Passanten präsentieren, bestimmt das „Feeling“ eines Grätzels. Doch während Wohnen auf Straßenniveau in Paris, London oder Amsterdam allgegenwärtig ist, spaziert man in Wien abseits der Innenstadt bloß an Garageneinfahrten, Müllräumen und oftmals leeren Geschäfte vorbei. Der Hauptgrund dafür – das österreichische Mietrecht: Im Altbau darf man umso teurer vermieten, je höher sich die Wohnung im Haus befindet. Am meisten freut Eigentümer das Dachgeschoß, denn Dachausbauten unterliegen nicht dem Richtwert und bringen daher mehr als doppelt so viel Miete wie eine Einheit ganz unten.
Wird in Wien ein altes Haus saniert, wird in der Praxis daher oft bloß die Fassade frisch gestrichen, die Steigleitungen und der Aufzug werden erneuert – das meiste Geld fließt in den Dachausbau, der die höchsten Renditen verspricht. Einen anderen Weg beschreitet der Immobilienentwickler LIV. Dieser legt laut Aussagen seines Geschäftsführers, Clemens Rauhs, ein besonderes Augenmerk auch auf das Erdgeschoß: „Das betrifft nicht nur den Zugang, sondern oft auch die Schaffung von kleinen Gastronomie- oder Geschäftsflächen, die eine Belebung der Mikrolage bedeuten“, betont er. „Solche Maßnahmen stellen aus unserer Sicht eine deutliche Verbesserung der Qualität der gesamten Immobilie dar.“ Während in den auf die Straßenseite gerichteten Erdgeschoßbereichen Geschäfte das Erscheinungsbild verbessern, errichtet LIV auf der anderen Seite Gartenwohnungen statt des gewöhnlichen „grauen Innenhofs mit den grünen Tonnen“. Auch die Allgemeinflächen versucht man dabei nicht aus dem Auge zu verlieren – ob auf Straßenniveau oder weiter oben: „Diese brauchen eine attraktive und gut funktionierende Gestaltung – dazu gehört beispielsweise, dass sich der Kinderspielraum auch für Yogakurse und sonstige Veranstaltungen eignet oder, sofern es eine Gemeinschaftsterrasse gibt, diese auch tatsächlich zum Verweilen einlädt.“
Fokus auf Erd- statt Dachgeschoß
LIV errichtet Projekte in Bestlagen – so in der Josefstadt, wo der Quadratmeter Wohnraum doppelt so viel wie in Randbezirken kostet. Dort, wo es Wohnungssuchende mit dicken Brieftaschen nicht hinzieht, ist selbst der Dachausbau oft kein gutes Geschäft mehr: Mittlerweile gebe es diesbezüglich ein Überangebot, da der Boom in Wirklichkeit infolge der gestiegenen Grundstücks- und Baukosten längst vorbei sei, meint Markus Kitz-Augenhammer, Vorstand der Immobilienrendite AG. „Vor zehn Jahren hat man für eine solche Wohnung durchschnittlich 400.000 Euro bezahlt, inzwischen sind es bereits 800.000 Euro. Das kann sich die Mittelschicht, die eigentlich die Hauptzielgruppe dieser Wohnungen darstellt, schlicht nicht mehr leisten. Wir errichten daher keine einzige neue Dachgeschoßwohnung in Wien“, sagt er. Statt nach oben blickt Kitz-Augenhammer lieber nach unten – und hat ein Konzept, um Erdgeschoßbereiche selbst in solchen Lagen zu beleben, in denen Geschäfte oder Wohnungen mangels Nachfrage wenig sinnvoll sind: „Ungenutzte Erdgeschoßbereiche eignen sich perfekt für die Lagerung von Dingen, die in Wohnräumen keinen Platz haben oder in feuchten Altbau-Kellerabteilen verschimmeln würden: lieb gewonnene Möbelstücke, von denen man sich nicht trennen will, oder Saisonartikel wie Skis.“ Daher sei die Immobilienrendite AG in Wien mittlerweile einer der größten Anbieter von Localstorages mit 540 Abteilen an neun Standorten.
Stadt hat einen Masterplan
Kleine Gewerbeflächen und Gartenwohnungen in gesuchten Lagen, Self-Storage-Räume in den Außenbezirken: Die Ideen der privaten Immobilienentwickler gehen der Stadt Wien nicht weit genug. Sie hat sich im Projekt „Fokus Erdgeschoßzone“ intensiv mit der Leerstandsthematik auseinandergesetzt. Das Fazit einer Expertengruppe rund um die Magistratsabteilung für Stadtentwicklung und Stadtplanung (MA 18) sowie der Raumplanungsabteilung der TU Wien: Man müsse alte Traditionen loslassen, sich Neuem öffnen. So brauche es etwa Subventionen, um leer stehende Geschäftslokale wieder zu bespielen. Bei Sanierungen solle nicht mehr zwischen Wohn- und Geschäftsbereichen unterschieden werden, projektspezifische Förderungen wären sinnvoll. Selbst das Thema Mietrecht haben die Experten angesprochen: „Es braucht eine realistische Bewertung von Erdgeschoßzonen durch den Aufbau eines transparenten ökonomischen Wertesystems als Basis für die Mietpreisbildung“, stellen sie fest. Ob ihre Vorschläge umgesetzt werden, steht aber in den Sternen – die Studie ist aus dem Jahr 2012.